Alexis Angelis - Der Mann, der in Räumen denkt

Leben, Wohnen und Arbeiten im digitalen Zeitalter 

21.05.2024

Er hätte Arzt werden können, oder Jurist. Beides waren nach dem Abitur kurzzeitig Optionen. Doch Alexis Angelis entschied sich für die Architektur. Ein Glücksfall für Oldenburg, wie sich später herausstellen sollte. Mit seiner inhaltlich orientierten Auffassung von Gestaltung ist Angelis einer der prägendsten Architekten im Nordwesten Deutschlands mit bundesweitem Renommee. Und er ist ein begabter Kommunikator, der Partner für die gemeinsame Realisierung von Ideen überzeugt, für die die Zeit noch nicht reif zu sein scheint. Die Oldenburger Vorzeigeprojekte CORE und Drei Höfe, die maßgeblich durch seine Initiative entstanden, sind die jüngsten Beispiele, wie städtisches Leben erfolgreich neu definiert werden muss: Als bunter Mix unterschiedlicher Nutzungen, der brachliegende Handelsflächen in Hotspots verwandelt und das gesamte Umfeld positiv beeinflusst. 

Das ist die Perspektive, die Angelis bei seiner Berufswahl im Kopf hatte. „Mich haben gesellschaftliche Themen interessiert, und ich habe irgendwann erkannt, dass genau diese Themen Raum haben können in der Architektur.“ Um solche Projekte noch stärker vorantreiben zu können, hat Angelis mit Frank Reiners und seinen Partnern bei Angelis & Partner vor ein paar Jahren das Unternehmen NEU_FUNDLAND gegründet. Dort werden Erfahrungen in der Stadtentwicklung, der Architektur und auch der wirtschaftlichen Modellierung von Projekten gebündelt. „Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, proaktiv vielversprechende Orte zu finden und dort Neues entstehen zu lassen.“ Aber die Architektur bleibe die Basis seines Wirkens, unterstreicht der Oldenburger. „Ich bin als Projektentwickler auch unternehmerisch tätig. Aber es ist die Architektur, die Lösungen und Konzepte für die Herausforderungen unserer Zeit finden muss. Das ist es, was mich antreibt.“ 

Wer den beruflichen Werdegang des gebürtigen Oldenburgers verfolgt, der in Hannover aber auch im Ausland und in Großstädten wie Berlin und Barcelona gelebt hat, kann das Muster erkennen, durch das sich seine Arbeiten von denen vieler seiner Berufskollegen unterscheidet. Für Angelis beschränkt sich Architektur nicht auf Formensprache, die den Bau als Kunstwerk abbildet, sondern er begreift sie als Treiber gesellschaftlicher Prozesse. So nähert er sich seinen Aufgaben fast philosophisch, fragt sich, wie die Menschen in Zukunft wohnen, leben und arbeiten möchten in einem sich stark veränderndem Umfeld. „Ich denke in Räumen, erklärt er.“ Raum sei eines der umfassensten Themen und lasse sich nicht reduzieren auf die bemalte Wand eines Zimmers oder die Gestaltung eines Gebäudes. Auch Stadtviertel betrachte er als Raum. Und es sei Aufgabe des Architekten, diese Räume so zu gestalten, dass Menschen sich dort wohl fühlen. „Das reizt mich.“ 



Digitales Zeitalter verändert das Leben 

Es ist das digitale Zeitalter, das neue Herausforderungen schafft, Lebenskonzepte verändert, die Arbeitswelt aus den Angeln hebt und die Struktur des Handels massiv verändert. Das Internet schafft neue Fakten. „Sie sind nicht aufzuhalten, aber wir müssen als Architekten darauf Antworten finden.“ Für Angelis selbst kommt die Entwicklung nicht überraschend „Wer es sehen wollte, hat die Zeichen sehen können.“ Aber die meisten haben weggeschaut und einfach weitergemacht. Angelis & Partner und NEU_FUNDLAND haben einen anderen Weg eingeschlagen, schon vor Jahren Antworten gesucht auf die sich abzeichnende Entwicklung und überzeugende Lösungen präsentiert. „Wir müssen Architektur neu denken und die Quartiere neu programmieren,“ beschreibt Angelis seine Arbeit mit dem Vokabular aus dem IT-Sprachgebrauch.  

Nicht jedes Rad muss dafür neu erfunden werden. Vieles ist schon da. „Man muss es nur erkennen und richtig zusammensetzen." Der Kopf eines Architekten lässt sich vergleichen mit einer Bibliothek. "Überall, wo ich bemerkenswerte Dinge sehe werden sie darin gespeichert,“ erläutert der Oldenburger. Daraus könnten dann auch ganz neue Dinge entstehen. „Ich habe in Berlin gelernt, das war kurz nach der Wende, in dieser Aufbauzeit, dass sich oft ohne Geld, in irgendwelchen Nischen, tolle Ideen entwickelt haben. Die sind später zum Erfolgsmodell geworden.“ Diese kreative Stadt habe aus aller Welt Menschen angezogen, weil sie so besonders war. „Deshalb glaube ich ganz stark an die Kraft von Ideen. Sie sind der Treiber von allem. Das habe ich aus Berlin mitgenommen.“ 

An Barcelona habe ihn das Leben im öffentlichen Raum beeindruckt. „Egal wo man geht in dieser Stadt, überall ist der Außenraum gleichzeitig so etwas wie ein gemeinsamer Innenraum.“ Wenn man solche Situation erfahre, dann spüre man, „es geht auch anders.“ Oder wenn man in Kopenhagen erlebe, wie Menschen „mitten in der Stadt, in einer solchen Metropole, fröhlich ins Wasser springen, schwimmen und auf Holzdecks relaxen, dann sagt man BOAH!: So muss Stadt sein! Lasst uns so etwas gemeinsam realisierten.“ Städte hätten so viele Chancen sich noch viel attraktiver zu machen. „Diese Chancen müssen wir nutzten. Miteinander: Ärmel hoch und gemeinsam etwas bewirken.“ Auch nach 15 Jahren in der Heimatstadt und vielen erfolgreichen Projekten hat sich seine Leidenschaft nicht verzehrt. Er brennt für seine Visionen. 



Ich bin ein Unternehmertyp, das war mir schnell klar 

Bevor Alexis Angelis in Oldenburg in das Büros seines Vaters eintrat, hatte er bei mehreren Berliner Architekten gearbeitet, dann aber bald ein eigenes Büro gegründet. „Ich bin ein Unternehmertyp, das war mir ganz schnell klar.“ Gleich sein erstes eigenes Projekt „Alte Schönhauser Straße“, mit dem er in Berlin-Mitte eine Baulücke mit einem hochwertigen Wohn- und Geschäftshaus schließt, wird zum Schlüsselerlebnis. „Ich war mir sicher, dass die ganze Welt nach Berlin will.“ Indes: Potenzielle Banken tickten anders und lehnten das Projekt zunächst ab. Berlin sei zu arm, der Immobilienmarkt stagnierend, holte sich der Oldenburger einen Korb nach dem anderen. 

Angelis ließ sich nicht beirren, fand schließlich doch Kapitalgeber und schloss sich für die Umsetzung mit dem Oldenburger Büro seines Vaters zusammen. Dort traf er mit seinem heutigen Partner Horst Gumprecht auf einen Verbündeten. „Ich habe sofort verstanden, worum es Alexis geht und das entsprach auch meinem Ziel,“ erinnert sich Gumprecht. „Das Projekt in Berlin war anders, neu und mutig. Konzeptionell, baukonstruktiv und technologisch, mit hohem Anspruch bis ins Detail durchdacht.“ 

Der Rest ist schnell erzählt. Angelis hatte das richtige Gespür. Berlin ist der düsteren Prognosen zum Trotz heute eine der gefragtesten Metropolen weltweit. Das Projekt „Alte Schönhauser Straße,“ an das kaum jemand glaubte, gewann den Architekturpreis „Zukunft Wohnen“ und wurde zur zentralen Referenz für die Zukunft des Oldenburgers. Die Kooperation der Büros legte überdies den Grundstein der Partnerschaft von Angelis und Gumprecht im Büro Angelis & Partner.  

Im Rückblick waren die gemeinsamen Erfahrungen bei der Realisierung des Berliner Projekts die Vorstufe zum Einstieg in das Oldenburger Büro seines Vaters, sagt Angelis und die Deutsche Bauzeitung blickte vor 15 Jahren in einem Bericht über die „Schönhauser Straße“ schon in die Zukunft: „Der Architekt als Entwickler,“ titelt sie einen Bericht über die damals noch ungewöhnliche Verbindung von Architekt und Unternehmer in Personalunion. Das war der Weg, den der Oldenburger gehen wollte. 



In Oldenburg prallen zwei Welten aufeinander 

Als Angelis dann 2005 von Berlin in die Huntestadt kommt, prallen dort zunächst zwei Welten aufeinander, beschreibt das hauseigene Magazin für Bau- und Unternehmenskultur die unterschiedlichen Ansätze von Vater und Sohn. „Da ist das etablierte Architekturbüro unter Gregor Angelis Leitung, solide geführt und überall in der Region geschätzt und anerkannt. Und da ist der junge Architekt aus Berlin, den Kopf voller Ideen mit dem Wunsch nach Erneuerung. Er hatte ein klares Bild im Kopf, wo er architektonisch hinwollte, was er am Büro verändern wollte“ - trotz der Reputation, die die Arbeit des Vaters genoss. „Ich spüre noch heute den Respekt, den sich das Büro unter Leitung meines Vaters erarbeiten konnte. Aber ich musste einen neuen, eigenen Weg gehen,“ wusste Alexis Angelis.  

Die Neuausrichtung gelingt. Auch weil Horst Gumprecht am gleichen Strang zieht und den kreativen Ideen des „Juniors“ zur Umsetzung verhilft. Fantasie und Akribie ergänzen sich perfekt. 2008 steigt Gumprecht in die Partnerschaft ein; ein Jahr später zieht sich Alexis Angelis Vater Gregor aus der Geschäftsführung zurück. Der Sohn ist am Ruder. Aber nicht allein. Früh hat er gelernt, dass sich Partnerschaften auszahlen und Netzwerke für Erfolg unerlässlich sind. 

Angelis & Partner nehmen neue Ziele ins Visier, gewinnen zahlreiche Ausschreibungen und realisieren die unterschiedlichsten Projekte: Einkaufszentren, Sakralbauten, Museen, Verwaltungsbauten, Schulen und Quartiere. Unabhängig von der Funktion tragen sie alle die unverwechselbare Handschrift des Büros: Klare Formensprache, ansprechende Materialwahl, energetische Optimierung und durchdachte Nutzungskonzepte, die flexibel unterschiedlichen Anforderungen angepasst werden können, sind die Grundlagen jeder Planung. Das klassische Büro findet in den Entwürfen nicht mehr statt. Leben, Wohnen, Arbeiten - alles erhält den neuen Stellenwert und vermischt sich. Der Aufbruch ins digitale Zeitalter verlangt neue Lösungen. Das Oldenburger Architektenbüro liefert sie. 

Wie ihre These funktioniert, haben die Oldenburger Entwickler mit der Veränderung eines Quartiers bewiesen, für das es viele Jahre keine Lösung gab. Dem Waffenplatz. Hier gaben sie einen Ausblick, wie Büro künftig funktionieren konnte und lieferten den Beweis, das Architekten als Projektentwickler den Charakter eines Viertels positiv verändern können. Der Platz, gelegen in zentraler Lage der Oldenburger City direkt an der Fußgängerzone, befand sich Jahrzehnte in der Abwärtsspirale, galt als ein Ort, „an dem niemand sein wollte.“ Durch die Neubauplanung von Angelis & Partner ist er zu einem beliebten Treffpunkt geworden.  

Mit Hilfe privater Investoren haben ihn die Projektentwickler zu einer großstädtischen Mischung aus urbanem Wohnen, Büros, Läden und Gastronomie umgebaut. „Unser Plan ist aufgegangen.,“ sieht sich Angelis bestätigt, der mit seinen Partnern und dem Team Teil des neuen Waffenplatz-Kiez wird: Angelis & Partner verlegen ihren Sitz ins neue Gebäude und belohnen sich selbst mit einem Büro, das die Unternehmenskultur und die Philosophie der Architekten widerspiegelt.  



Offene Bürolandschaft, warm und belebt 

Eine neue Welt tut sich dort auf: „Kein Großraum, keine Zimmerchen – eine offene Bürolandschaft, warm und belebt, wirkt es. Überall Rückzugsorte, überall Raum für Gemeinschaft. Und dann betrifft man das Atrium. Wenn die Floskel Herzstück irgendwo passt, dann hier. Alles ist Licht und hell – sogar der Laie beginnt zu begreifen, was gute Architektur leisten kann und staunt die 7,37 Meter hohen Decken hinauf,“ fasst Annika Behrmann im A&P Magazin für Bau- und Unternehmenskultur ihre Eindrücke vom neuen Zuhause der Architekten am Waffenplatz zusammen. Horst Gumprecht sieht auch den Benefit einer solchen Atmosphäre für den Arbeitgeber: „Wir müssen ein Arbeitsklima schaffen, das es den Leuten ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen, aber auch mal quer zu denken.“ Der Architekt als Soziologe. 

Die neue Positionierung des Waffenplatzes war das Meisterstück, knapp zehn Jahre nach dem Eintritt von Alexis Angelis ins Büro des Vaters. „Wir haben uns durch die Projektentwicklung ein bisschen vom klassischen Profil des Architekten gelöst, der nur  als Dienstleister jemandem zuarbeitet,“ sagt Angelis. „Das macht freier.“ Eigene Visionen ,,die uns treiben, könnten häufig nur mit der Bereitschaft realisiert werden, den ersten Schritt selbst zu tun. „Mit einem Projekt wie das CORE hätte uns seinerzeit wahrscheinlich niemand beauftragt. Und jetzt guckt ganz Deutschland auf diese Geschichte in Oldenburg.“ 


Architekten, Entwickler und Betreiber

Die kreativen Ideen des Büros haben Folgen. Weil sie nicht nur Projekte architektonisch umsetzen, sondern sie mit Partnerunternehmen entwickeln und wie das CORE oder die Design-Hotels HIIVE in Oldenburg und bald auch in Langeoog und Carolinensiel selbst betreiben, arbeiten mittlerweile über 100 Menschen für das Oldenburger Büro oder damit verbundene Gesellschaften:  „Wir sind ja fast ein Serien-Start-up-Gründer,“ Das sei zwar viel Koordination und Aufwand erforderlich, aber er habe das Gefühl, „dass diese Visionen greifen und sich die Entwicklungen, die entstanden sind, bald selbständig tragen.“. Das sei sein persönlicher Wunsch für die Zukunft, „Wenn ich mich im CORE umsehe, die volle Markthalle, die gut frequentierten Stände sehe, dann habe ich das Gefühl, dass hier eine Mission erfüllt ist.  

Es werden sich neue Aufgaben finden. Dafür wurde die Führungsebene breit aufgestellt. Schon seit 2017 verantwortet Britt Angelis als Geschäftsführerin die Bereiche Finanzen, Kommunikation und Personal. 2022 steigen Doreen Todtenhaupt und Sebastian Ackert in die Gesellschaft ein. Im gleichen Jahr werden die Bürostandorte Oldenburg und Wismar organisatorisch voneinander getrennt. Geleitet wird das Wismarer Büro mittlerweile von den langjährigen Mitarbeiterinnen Frauke Folkerts, Renée Kunz und Kristian Fleischhack.


von Klaus Schmidt
Bildrechte
Ulf Duda
Angelis & Partner