Oldenburg liefert Modelle für Deutschland

Deutschlands erste Fußgängerzone und das Core als Initalzündung für bundesweite Megatrends

21.05.2024

Ende der 60 Jahre erfand Oldenburg die Fußgängerzone und leitete damit einen bundesweiten Megatrend zur Aufwertung der Innenstädte ein. Jetzt, nicht ganz 60 Jahre später, liefern Oldenburger Projektentwickler mit dem CORE ein Modell, wie Deutschlands Städte zu retten sind. Damals wie heute spielt der Einzelhandel eine Hauptrolle. Damals durch seine Blüte, aktuell durch sein Dahinsiechen. Waren es in den 1960er Jahren die Stadtväter, die mit der bundesweiten ersten Fußgängerzone einen Trend setzten, so sind es heute private Investoren, die den strukturellen Umbruch des Handels nicht nur früh erkannten, sondern mit dem CORE auch einen Lösungsansatz für das Problems entwickelten. Dafür erhalten sie gerade soviel bundesweite Aufmerksamkeit, wie Ende der 1960er Jahre die Pionierleistung eines fußläufigen Bereich der Innenstadt. 

Ein Rückblick: Man möchte es kaum glauben, wenn es nicht alte Bilder gäbe: Mitten im Oldenburger Zentrum drängeln sich Busse, Lieferwagen und Pkw durch die Lange Straße - und alle Menschen halten das für ganz normal. Dem Auto gehört die Zukunft, die autogerechte Stadt ist überall das große Ziel. Während eine Großstadt wie Bremen noch ganze Viertel ausradieren will, um den Verkehr vierspurig durch die Stadt cruisen zu lassen, finden ausgerechnet die Stadtväter im beschaulichen Oldenburg das Modell der Zukunft. Gegen den Widerstand vieler kleinerer Kaufleute verbannen sie Ende der 1960er Jahre das Auto zwischen Wall und Marktplatz aus der City. Deutschlands erste Fußgängerzone ist geboren. Sie wird zur Blaupause fast aller großen Städte und gibt dem Einzelhandel eine einzigartige Plattform. Oldenburg, die Einkaufsstadt, ist eine Marke für die nächsten Jahrzehnte geworden. 



Die Fußgängerzonen bereiten Landauf Landab aber auch den Nährboden für einen beispiellosen Verdrängungswettbewerb. Kaufhäuser und Filialisten erobern die attraktiven Innenstädte. In Oldenburg hat sich das Kaufhaus Hertie schon 1959 in der Heiligengeiststraße einen Standort gesichert. Sechs Jahre später, knapp vor der Einführung der Fußgängerzone, besetzt auch Horten einen Platz in attraktiver Lage. Mit dem Horten-Neubau kommt die Rolltreppe nach Oldenburg und zieht die Menschen in den Bann. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen. Mehr Großstadtgefühl geht nicht im Nordwesten. Auch Neckermann hat die Zeichen der Zeit erkannt und macht sich auf in die Huntestadt. Der Handel floriert. Da ficht es niemanden an, dass für Hertie, Horten und Neckermann historische Bausubstanz geopfert wird. Oldenburg gibt sich modern. 

Dass mit den Kaufhäusern auch die Filialisten immer größere Flächen in der begehrten Innenstadt suchen, treibt den Mietpreis für Einzelhandelsflächen in ungeahnte Höhen. Viele kleine Geschäfte geben auf, weil sie mit den Angeboten der Ketten nicht mithalten können. Einzelhändler, die eine eigene Immobilie besitzen, wechseln ins Vermieterfach. Und verdienen mehr, als das eigene Geschäft je eingebracht hat. Selbst den Umbau übernehmen die auf Expansion ausgelegten Filialisten häufig auf eigene Kosten – mit den ewig gleichen Fassaden in allen Städten. Der Höhepunkt ist noch nicht erreicht, die Langeweile und der Identifikationsverlust der Städte aber zeichnet sich schon ab, auch in Oldenburgs historisch gewachsener Innenstadt. 


Als erstes trifft es die 1b-Lagen. Hertie schließt das Oldenburger Haus, das nur in einer verkehrsberuhigten Zone, aber nicht im Kern der Fußgängerzone liegt. Die Besitzer der, nach der Hertie-Schließung, als City Center Oldenburg (CCO) firmierenden Immobilie müssen sich mit ständig neuen Mietern auseinandersetzen – und schließlich mit keinem großen Interessenten mehr. Zehn Jahre steht die „in Beton gegossene Konsumgeschichte“ fast leer, weil die Besitzer lieber Verluste abschreiben, als mit den Mietpreisen in die Knie zu gehen. 

Eine Haltung, die das veränderte Konsumverhalten nicht berücksichtigt. Denn nicht die Marktteilnehmer des stationäre Handels liefern sich einen Verteilungskampf, der neue übermächtige Gegner findet sich sich im Internet. „In einer idealen Welt“, wird Alexis Angelis vom Oldenburger Architekturbüro Angelis & Partner in der Deutschen BauZeitschrift (DBZ) zitiert, „würde ich Dinge des alltäglichen Bedarfs wie Nahrung oder Toilettenartikel künftig automatisiert geliefert bekommen. Dafür muss ich meinen Fuß nicht vor die Tür setzen.“ Und wie er sehen es viele Konsumenten offenbar auch. Allerdings beschäftigt er sich, anders als die meisten, auch mit den Folgen des veränderten Konsumverhaltens. „In einer Stadt, in der nicht mehr große Ketten und Kaufhäuser den Ton angeben, wird künftig wieder mehr Platz für den kleinen und kreativen Handel sein.“ Und auch die Mischnutzung, so prophezeit er, wird an Bedeutung zunehmen. 



Diese These hat das Architektur-Büro Angelis & Partner mit dem CORE deshalb in ein Konzept gegossen, das Frequenz weitgehend ohne Einzelhandel erzeugt. In dem ehemaligen Hertie-Kaufhaus verwandelten die Architekten die Flächen im Erdgeschoss in eine öffentliche Markthalle mit Bar und Streetfood-Ständen mit Außenbereich. In den oberen Etagen zog die Innovationsplattform CORE ein, eine Mischung aus Co-Working, Gastronomie und Veranstaltungen. „Die Vision war es, aus dem Leerstand einen öffentlichen Ort zu entwickeln. In einem „Schaufenster für Innovationen“ wollten wir bestehenden und zukünftigen Kräften der Region, von Hochschulen über Unternehmen bis hin zu den Bürger:innen, selbst ein Forum bieten. Dieser Ort sollte viele Elemente verbinden, die eine Stadt ausmachen – also Arbeiten, Wissensaustausch und Repräsentation genauso wie Freizeit, Erlebnis, Essen und Trinken,“ umriss Alexis Angelis die Zielstellung. 

Allgemeine Vorbilder habe es viele gegeben – zum Beispiel die neuen und alten Markthallen in Großstädten wie Madrid oder Berlin oder aber moderne Think Tanks und Co-Working Angebote, wie es sie überall auf der Welt gebe. „Wir haben diese Bilder neu in ein Gesamtkonzept zusammengebunden, das heißt, die Bestandteile neu zusammengefügt. Dafür haben wir so kein konkretes Vorbild gefunden.“ 


„Der Name CORE entstand als Kunstbegriff und verbindet die Worte COmmunication und REsearch, COinnovation und REcreation, also die Begriffe, die das Konzept umschreiben. Die Zusammensetzung der Worte ergibt das englische Wort für „Kern“ – der neue Kern der Stadt. Und das ist das, was das CORE leistet: Es entwickelt den Kern der Stadt neu, indem es der Stadt einen neuen Inhalt gibt, der neues Leben generiert.“ 

Alexis Angelis, Geschäftsführer ANGELIS & PARTNER im Wilkhan-Blog


Durch die Nachnutzung eines Bestandsgebäudes habe das stadtbildprägende Kaufhaus, das seine Funktion verloren hatte, ressourcenschonend in einen zukunftsfähigen Ort des Zusammenlebens und -Arbeitens transformiert und für die Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden, applaudiert das Magazin „Baukultur in Niedersachsen“ in der Ausgabe 2023/24. Die Väter des Projekts werden das Lob sicher goutieren, aber sich über sichtbare Bestätigungen ihrer These noch mehr freuen: Obwohl in der Oldenburger 1a Lage der Niedergang des großflächigen Einzelhandels noch Fahrt aufnimmt, siedeln sich um das CORE neue kleine Geschäfte an: Die vor Jahre vom Niedergang gezeichnete 1b Lage hat sich durch das neue Konzept zum Hotspot entwickelt, der dem früheren Funktionsverlust der Innenstädte nachhaltig neues Leben einhaucht.


von Klaus Schmidt

Bildrechte
Stadtmuseum Oldenburg/Lenze