Das Haus hat mich gefunden!

Historisches Fachwerkgebäude an der Weser liebevoll restauriert

20.06.2024

Das Fachwerkhaus an der Weser mitten in der Hoyaer Innenstadt ist ein echter Blickfang. Ein Kleinod, aber schon mit Spuren des Verfalls, als der Bremer Siegfried Hermann ihm vor acht Jahren zum ersten Mal gegenübersteht. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Und es ist eben die Bedürftigkeit, die Siegfried Hermann an diesem beeindruckend schönen Gebäude fasziniert. „Das Haus hat mich gefunden, weil es Hilfe brauchte,“ sagt er heute. Jetzt, wo die Wunden geheilt sind, darf es wieder in andere Hände. 

Kaufen kann es allerdings nicht jeder. Interessenten müssen schon ein großes Herz für das historische Fachwerk offenbaren. Wer angesichts des günstigen Verhältnisses zwischen Mieteinnahmen und Kaufpreis nur an Rendite denkt, fällt beim Verkäufer durchs Raster. Gesucht wird ein Liebhaber mit Respekt vor der Geschichte dieses besonderen Gebäudes. Als es1658 vom damaligen Bürgermeister Heinrich vom Hingst gebaut wird, ist der 30-jährige Krieg gerade befriedigt und auch die Schweden haben die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem nur 50 Kilometer von Hoya gelegenen Bremen beendet. Man darf wieder auf gute Zeiten hoffen.

In Hoya tut man das. Der Bürgermeister der kleinen Stadt zeigt mit dem aufwendig gestalteten Fachwerk des Neubaus an der Deichstraße, dass die Familie wohlhabend ist. Der vierfach vorkragende Giebel auf zum Teil gerundeten Knaggen wirkt heute noch so imposant wie fast 400 Jahren. Unmöglich, nicht davon beeindruckt zu sein. Außen hui und innen pfui? Mitnichten. Wer das Haus durch das eindrucksvolle Portal betritt, findet sich in einer großzügigen Diele wieder, die die Stile unterschiedlicher Epochen harmonisch vereint: Barock, Jugendstil und Art Deco lassen sich hier an Beispielen erklären.

Die Delfter Kacheln an der Wand stammen ebenso wie der Fußboden aus der Zeit um 1904, als das historische Gebäude noch einmal überarbeitet und in Teilen verändert wurde. Das war notwendig, weil sich das Niveau der Deichstraße im Laufe der Jahrhunderte beträchtlich verändert hatte. Portal und Fußboden wurden auf eine Ebene mit der Straße gebracht.

Auch die Treppenanlage mußte deshalb verändert werden. Was auf den ersten Blick nicht ins Auge fällt, erschließt sich aber bei näherer Betrachtung: Der Treppenaufgang ist aus anderem Holz, das nicht ganz so hochwertig ist, wie es Bauherr und Bürgermeister Heinrich vom Hingst aus abgelagerter Eiche hatte ausführen lassen. Trotzdem wirkt alles wie aus einem Guss und so strahlend, als sei die Diele gerade erst fertig geworden. Die frisch renovierten Wände wurden wie das Holz der Treppe von alten Farben befreit und erhielten einen Anstrich in mineralischen Farben. Die alten Türblätter sind wie damals üblich bemalt, nicht furniert. Man muss schon hinschauen, um den Unterschied zu bemerken.

Wer die Diele durch die Tür zu den Kellerräumen und dem Hinterausgang verlässt, muss eine Stufe von rund 30 Zentimetern meistern, die die alten Steinplatten dort tiefer liegen. Sie stammen noch aus der Bauzeit dieses Bürgerhauses und liegen auf der Höhe der Deichstraße von 1657. Auch die Beschläge einiger Türen stammen noch aus dieser Zeit. Dahinter verbergen sich nicht nur Lagerräume, sondern auch eine Waschküche und eine alte Kochstelle. Was man nicht findet, ist eine Toilette: Die Bewohner mussten wohl nach draußen auf den Hof. 

Heute gibt es natürlich sanitäre Anlagen in den vier Wohnungen und moderne Heizungen, aber ebenfalls einen alten Kachelofen, den Siegfried Hermann wieder herrichten ließ. Für das Heizen des Gebäudes ist er zwar nicht notwendig ist, aber funktionstüchtig musste er sein. Das war dem Besitzer ein Anliegen.

Um die Beziehung zwischen ihm und dem historischen Gebäude einordnen zu können, muss man sich mit der Persönlichkeit des Bremers auseinandersetzen und mit seinem Beruf, der für ihn Berufung war: Als Restaurator hat er unzählige Gebäude in Deutschland erhalten, Spuren alter Malereien freigelegt und wiederhergestellt und immer war es ihm wichtig, Geschichte sichtbar zu machen. 

In den 1970er Jahren beschäftigte der Bremer, der auch den Dom und das historische Rathaus der Hansestadt betreute, ein international besetztes Team von Fachleuten, die - so wird noch heute kolportiert, miteinander viel Spaß hatten. Vielleicht auch deshalb, weil ihr Chef seine Arbeit liebte und die Mitarbeiter schätzte. Die bekamen übrigens alle das gleiche Geld, egal, ob Chef, Stukkateur, Maler, Mann oder Frau. „Equal pay“, also gleiches Geld für alle, gab es bei Siegfried Hermann schon, als der Begriff noch gar nicht erfunden war.


von Klaus Schmidt

Bildrechte Klaus Schmidt