Die WG als Familienersatz

Wie die Psychotherapeutin Ninja Kattenbeck das Leben in selbstgewählten Gemeinschaften bewertet

14.05.2024


Hallo Ninja, zum Einstieg gleich mal die Frage zur Lage: Wie fühlt man sich nach so vielen Jahren WG, wenn man plötzlich allein in einer Wohnung lebt?

Hi Klaus, ein bisschen seltsam war es in den ersten Tagen schon. Abgesehen davon, dass ich mich erst mal an das neue Umfeld, die neuen Geräusche, den neuen Geruch, die andere Einrichtung gewöhnen musste, ist es die Ruhe und der Raum, den ich für mich habe ohne den WG-Alltag. Es gibt plötzlich viel mehr Zeit, in der ich mich selber wahrnehme, die nicht gefüllt ist mit Gedanken an jemandem im Nachbarzimmer. Ich hab das Gefühl, es geht hier wirklich nur um mich.


Ninja, Du sagst von Dir, dass Du in der langjährigen WG-Erfahrung viel von anderen gelernt hast. Welche Voraussetzungen sollten Menschen mitbringen, wenn sie zusammenziehen?

Ganz klassisch auf jeden Fall Toleranz und Offenheit anderen gegenüber. Es hilft auf jeden Fall, neugierig zu sein auf andere Menschen, sie kennenlernen zu wollen, zu erfahren, wie sie ihren Alltag, wie sie ihr Leben gestalten. Das waren für mich die schönsten Lernerfahrungen. Sie regen dazu an, auch eigene Gewohnheiten zu hinterfragen, sich etwas abzugucken, vielleicht sogar als Modell zu übernehmen, mal einen anderen Tagesablauf auszuprobieren. Man muß natürlich selbst bereit sein, neue Pfade zu gehen, mit anderen zusammen etwas zu probieren. Empathie ist wahnsinnig wichtig, weil man auf engem Raum zusammenlebt. Sonst kommt es schnell zu Reibereien und Auseinandersetzungen. Wer ständig high-life braucht, ist in der Wohngemeinschaft fehl am Platz. Man muss auch damit leben können, dass Menschen Stimmungsschwankungen unterliegen, sich davon distanzieren können, aber für ihre Situation auch ein offenes Ohr haben, verständnisvoll zu bleiben. Es ist wichtig, das soziale Zusammenleben als Chance zu sehen. Aufeinander zuzugehen, sich zu streiten, aber vor allen Dingen sich auch wieder zu vertragen. Die Erfahrung zu machen, wie das funktioniert.



Als Stimmugskiller in einer WG gelten unterschiedliche Auffassungen von Reinlichkeit in Bad und Küche. Gibt es noch andere No-gos, die eine Zweckgemeinschaft an die Grenze bringen?

Klar Klaus. Küche und Bad sind die Klassiker. Aber auch regide, unempathische Verhaltensweisen. Wer nicht bereit ist, andere Gewohnheiten zu akzeptieren, sich anzupassen und stattdessen nur seine Interessen im Blick hat, ist ein Störfaktor in der WG. Wenn man nur bei seinen Themen bleibt, nur sein Ding durchziehen will und deutlich macht, auch das Allgemeinwohl im Auge zu habe, stört einfach das notwendige Gleichgewicht. Auch wenig oder zu einseitige Übernahme von Verantwortung ist Reizthema, das nach meiner Erfahrung viel Potenzial für Streitereien bietet.

Schwierig wird es auch, wenn MitbewohnerInnen die gemeinsamen Räume nicht wertschätzen und sich so verhalten, als ob alles ihnen gehört. Man sollte schon ein Gespür dafür entwickeln, wann man stört und sich besser in sein eigenes Zimmer zurückzieht. Es gibt im Zusammenleben Grenzen, die man erkennen, Signale, die man wahrnehmen muss. Ein Stimmungskiller ist auch der großzügige Umgang mit dem Eigentum der anderen. Hier gilt der Grundsatz, lieber einmal zuviel zu fragen und sich nicht auf Annahmen zu verlassen. Das ist viel wichtiger, als ich es vorher gedacht habe. Vor allem muß es selbstverständlich sein, etwas zu ersetzen, was man kaputt gemacht hat.


Die gemeinsame Nutzung einer Wohnung ist bei jungen Menschen meist eine Zweckgemeinschaft, um Kosten zu sparen. Es kann aber auch eine Lebensform sein. Taugt die Wohngemeinschaft als Familienersatz?

Unbedingt! Das soziale Gefüge hängt davon ab, wie sehr man Werte teilt. Für mich war die Wohngemeinschaft ein Familienersatz oder zumindest ein ganz wichtiger sozialer Halt gerade in einer Großstadt wie Berlin. Es ist hilfreich, wenn man merkt, dass immer jemand da ist, dass man gesehen wird, dass es Unterstützung gibt auch für andere Lebensvorstellungen. Ich kann mir gut vorstellen, auch künftig in Wohngemeinschaften zu leben, wenn genug Platz da ist, für die eigene Entfaltung und man sich Gemeinschaftsträume für Begegnungen teilen kann. Was ich sehr, sehr schön fand an den selbstgewählten Gemeinschaften ist, wie sehr man vom Wissen und den Fähigkeiten anderer profitieren kann. Es gibt wie in der Familie unterschiedliche Rollen. Da kann man sich selbstbestimmt zusammenfinden und etwas inszenieren, völlig ungezwungen.


Wie geht man damit um, wenn die Mitbewohner ihre Dates mit nach Hause bringen?

Da braucht es klare Absprachen und auch klare Ansagen im Vorfeld. Wir haben das in meiner letzten WG tatsächlich limitiert, damit man nicht morgens auf fremde Menschen in der Küche trifft. Das war für mich tatsächlich eine  Erfahrung zu merken, wie wichtig eine private Atmospäre zu Hause ist. Das heißt, sich dann lieber mal woanders treffen. Wenn jemand einen festen Partner hat, kann das anders aussehen. Das kann durchaus eine Bereicherung für die WG sein. Nur muss darüber natürlich gesprochen werden.


Ninja, Ihr habt in Eurer WG viele Events veranstaltet und dafür manchmal nicht nur Euch, sondern auch die ganze Wohnung einem Motto entsprechend ausstaffiert. Sind kleine oder größere Feste Pflicht der Kür für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft?

Kleinere Verstaltung und auch mal ein gemeinsames Erlebnis außerhalt der WG sind in jedem Fall hilfreich, um das gemeinsame Zusammenleben zu intensivieren, gemeinsame Erfahrungen zu sammeln, gemeinsam etwas zu gestalten. Größere Events, wir sie veranstaltet haben, sind natürlich keine Pflicht. Sie waren aber für die Kultur der WG total wichtig. Wenn man die entsprechenden kreativen Geister im Hause zusammenleben hat, sollte man das auch nutzen. Das sind schon Erlebnisse, von denen man lange zehrt.


Das waren die positiven Seiten. Und wie trennt man sich in der WG, wenn nichts mehr geht?

Das ist wie bei jeder Trennung. Es ist wichtig, die gemeinsame Zeit wertzuschätzen und nicht alles im Nachhinein negativ zu färben. Ich finde es schön, wie bei jeder Trennung, so etwas als Lebensabschnitt zu sehen. Sich dankbar zu zeigen, für die gemeinsam verbrachte Zeit und den anderen zu spiegeln, das man voneinander gelernt hat.


von Klaus Schmidt
Bildrecht Privat

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